Gruppenphasen nach Bennis / Shepard

Warren G. Bennis und Herbert A. Shepard (1956)

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Ziel

Durch Kenntnis der Gruppenphasen nach Bennis / Shepard finden sich die TeilnehmerInnen in T-Gruppen währen Gruppendynamikseminaren besser zurecht und können der gesamten Gruppe helfen, ihr Ziel schneller zu erreichen.

 

Kontext

  • Gruppendynamik
  • Teambuilding
  • Teamführung

 

Theorie

(basierend auf Warren G. Bennis und Herbert A. Shepard: A theory of group development. In Human Relations, 1956, (4), S. 415 – 437)

 

Bennis und Shepard machten in den von Ihnen geleiteten Gruppen (T-Gruppen) zwei große Themen aus, welche zu Unsicherheiten führten: Dependenz (Verhältnis zur Autorität) und Interdependenz (Verhältnis zwischen den Mitgliedern).

 

Die Beschreibung der einzelnen Phasen geht vom klassischen Setting eines Gruppendynamikseminares aus.

 

Eine Gruppe muss nach Bennis / Shepard zunächst stets ihr Verhältnis zur Autorität (Macht) klären, bevor sie sich mit den Verhältnissen der Mitglieder zu einander (Liebe) beschäftigen kann. Dies stellt die beiden Hauptphasen da. Jede dieser Hauptphasen wurde noch in drei Subphasen unterteilt.

 

Dependenz (Verhältnis zur Autorität)

Dependenz – Flucht

Konterdependenz – Kampf

Lösung – Katharsis

Interdependenz (Verhältnis zwischen den Mitgliedern)

Verzauberung – Flucht

Entzauberung – Kampf

Konsensuale Bestätigung

 

Dependenz (Verhältnis zur Autorität)

In der ersten Phase müssen die Gruppenmitglieder klären wie sie zur Autorität stehen. Sowohl in Bezug auf den Trainer als auch auf die Verteilung von und den Umgang mit Macht und Autorität innerhalb der Gruppe.

 

Subphase 1: Dependenz (Abhängigkeit) – Flucht

Zu Beginn ist das Ziel der Gruppenmitglieder Sicherheit in der Gruppe herzustellen. Die Gruppe verbringt dabei sehr viel Zeit mit einer ergebnislosen Suche nach einem Ziel.

 

Wobei nach Bennis / Shepard nicht das Fehlen eines Ziels die Unsicherheit hervorruft, sondern vielmehr der Trainer / die Trainerin, indem sie sich weigert, das Ziel vorzugeben.

Die ergebnislose Suche kann dementsprechend auch als Bitte der Gruppe an den Trainer / die Trainerin verstanden werden, ihr doch zu sagen was sie zu tun hat. Gleichzeitig demonstriert die Gruppe dadurch auch, dass sie ohne die Hilfe des Trainers / der Trainerin verloren ist und dass sie bereit ist, unter seiner / ihrer Führung zu arbeiten.

 

Nach Bennis / Shepard können in dieser Phase bereits zwei unterschiedliche Typen innerhalb der Gruppenmitglieder ausgemacht werden. Dependenz und Konterdependenz. Jene welche nach Dependenz (Abhängigkeit) streben, suchen intensiv nach Hinweisen des Trainers / der Trainerin, um herauszufinden, was zu tun ist. Jene welche nach Konterdependenz (Gegen-Abhängigkeit) streben, versuchen in den Handlungen des Trainers / der Trainerin Anlässe für eine Rebellion gegen ihn / sie zu finden.

 

Mangels Anleitung werden die Gruppenmitglieder verschiedene Verhaltensweisen an den Tag legen, die sich in der Vergangenheit bewährt hatten. Die Diskussionen drehen sich um Themen, welche möglichst nichts mit der Gruppe zu tun haben (Flucht). Wird darauf vom Trainer / von der Trainerin hingewiesen, wird dies von der Gruppe ignoriert.

 

Subphase 2: Konterdependenz (Gegen-Abhängigkeit) – Flucht

In dieser Phase entstehen zwei Subgruppen. Diese beiden Subgruppen beinhalten gemeinsam die meisten der Mitglieder, aber nicht alle. Sie haben unterschiedliche Anschauungen in Bezug auf Führung und Struktur. Eine der beiden will möglichst viel Struktur schaffen, die andere ist vehement dagegen.

Durch diese Uneinigkeit wird jedes Gefühl von Gemeinsamkeit zerstört. Oft wird die Uneinigkeit auch durch (den Versuch von) Abstimmungen zur Schau gestellt.

 

Der Trainer / die Trainerin wird von der Gruppe entmachtet und wird dennoch noch immer als allmächtig angesehen. Das entstandene Machtvakuum kann nicht gefüllt werden, da niemand Macht an irgendjemand abgeben möchte.

 

Die Entmachtung findet statt, weil er / sie die Bedürfnisse der Gruppe nicht erfüllt. Seine / ihre Interventionen werden von den Abhängigkeits-Suchenden als falsche Interpretationen abgetan, von den Gegen-Abhängigkeits-Suchenden als Versuche, den Gruppenprozess aufzuhalten. Stille wird von den Abhängigkeits-Suchenden als Fahnenflucht, von den Gegenabhängigkeits-Suchenden als Manipulation angesehen.

 

Die Allmächtigkeit erklärt sich wie folgt: In der ersten Subphase (Dependenz) war die Weisheit der Trainerin / des Trainers unhinterfragt und gleichzeitig wurde sie im Geheimen hinterfragt. In der zweiten Subphase wird die offenbare Unfähigkeit des Trainers / der Trainerin offen zur Schau gestellt. Gleichzeitig wird, ob der Offensichtlichkeit der Unfähigkeit, diesem Urteil aber auch misstraut. Aus diesem Misstrauen speist sich die Allmächtigkeit des Trainers / der Trainerin.

Zusätzlich ist der Trainer / die Trainer schlicht und einfach noch zu mächtig um offen angegriffen zu werden.

 

Die beiden ‚im Krieg befindlichen‘ Subgruppen haben neben den destruktiven auch einen positiven Aspekt. Die in ihnen vereinten Gruppenmitglieder konnten sich besser kennenlernen und wissen, dass sie sich auf einander verlassen können. Die Mitglieder fühlen sich dementsprechend nicht mehr alleine, wie noch in der Subphase 1.

 

Trotzdem steht die Gruppe am Ende der Subphase 1 buchstäblich vor dem Abgrund und erhofft sich ein Wunder vom Trainer / von der Trainerin.

 

Subphase 3: Lösung – Katharsis

Katharsis wird vom Duden u.a. wie folgt definiert: „(Psychologie) das Sichbefreien von psychischen Konflikten und inneren Spannungen durch emotionales Abreagieren“.

 

Diese Subphase dauert meist nur sehr kurz. Tut sie das nicht, dauert sie sehr lange. Einen Mittelweg scheint es hier nicht zu geben.

 

Die Lösung gelingt dank dreier Zutaten: Erstens konnten sich die Mitglieder in Subphase 2 besser kennen lernen und Vertrauen aufbauen. Zweitens wurden in Subphase 2 die Interventionen des Trainers / der Trainerin zwar als falsch oder störend empfunden, gleichzeitig wurde ihnen aber zumeist Folge geleistet. Drittens gibt es nicht nur die Abhängigkeits-Suchenden und die Gegen-Abhängigkeits-Suchenden sondern noch eine (kleine) dritte Gruppe – Bennis / Shepard nennt sie die Unabhängigen, da sie weder der einen noch der anderen Tendenz zu stark nachgeben (müssen). Die Unabhängigen waren bisher recht ineffektiv. Sie sind nun die letzte Chance für die Gruppe.

 

Ein Gruppenmitglied (meist eine Unabhängige / ein Unabhängiger, da diese bisher keinen Machtanspruch stellten), schlägt vor, dass der Trainer / die Trainerin doch ruhig den Raum verlassen könnte. Und sei es nur als Experiment. Für dieses Unterfangen wird es nie ungeteilte Zustimmung geben.

 

Die Trainerin / Der Trainer darf fortan weiter Teil der Gruppe sein, jedoch wird ihm nun nicht mehr und nicht weniger Macht in Bezug auf die Gruppe zugebilligt, wie allen anderen Gruppenmitgliedern auch. Dadurch ist das Thema Macht erledigt und die Gruppe kann sich der Liebe zuwenden.

 

Die Entmachtung des Trainers / der Trainerin wird für die Gruppenmitglieder den Wendepunkt darstellen, an dem die Gruppe eine Gruppe wurde.

 

Interdependenz (Verhältnis zwischen den Mitgliedern)

In Phase 1 war die Verteilung der Macht das entscheidende Thema. In Phase 2 tritt nun die Verteilung von Zuneigung zwischen den Mitgliedern in den Vordergrund.

 

Subphase 4: Verzauberung – Flucht

Diese Phase wird auch mit Harmonie übersetzt.

 

Zu Beginn ist die Gruppe glücklich, der Zusammenhalt ist extrem groß. Jeder Versuch dieses Glück und den Zusammenhalt zu stören wird sofort überspielt (z.B. durch lachen).

Alle Entscheidungen der Gruppe müssen zu diesem Zeitpunkt einstimmig erfolgen, um nur ja nicht die Harmonie zu stören. Gleichzeitig wird jedoch nichts entschieden, wo sich die Gruppe nicht ohnehin einig wäre bzw. werden Dinge entschieden, die den Mitgliedern einfach nicht wichtig sind.

 

Gegen Ende der Phase wird den Mitgliedern immer mehr klar, dass diese Harmonie nur aufgesetzt ist. Gleichzeitig wird – um die Harmonie aufrechterhalten zu können – zunehmend in Kleingruppen gearbeitet und die Großgruppe gemieden. Die Verzauberung der Großgruppe weicht der Verzauberung der Kleingruppe, in der man sich wohlfühlt.

 

Subphase 5: Entzauberung – Kampf

Subphase 5 ist geprägt vom Kampf zweier Lager, ähnlich wie Subphase 2. Allerdings ist die Gruppenzusammensetzung eine andere, da das Thema, welches die Gruppe spaltet, jenes nach dem Wunsch nach Nähe ist. Während eine Gruppe möglichst viel Nähe möchte, möchte die andere möglichst wenig.

 

Beide Wünsche haben einen gemeinsamen Nenner – die Selbstachtung. Für die eine Gruppe ist die scheinbar einzige Möglichkeit Selbstachtung zu behalten, jegliche Verpflichtung für andere abzulehnen. Für die andere Gruppe besteht die einzige Möglichkeit darin, von anderen die Zusage zu erhalten, alles zu vergeben.

Bennis / Shepard verwenden zur Illustration das geflügelte Wort: Wenn mich die anderen wirklich kennen würden, würden sie mich zurückweisen.

 

Die einen (maximale Nähe) akzeptieren alle um vor deren Zurückweisung geschützt zu sein. Die anderen (minimale Nähe) verstoßen alle, bevor diese eine Chance bekommen, sie zurückzuweisen.

 

All dies manifestiert sich auf unterschiedlichste Weise in dieser Subphase. Es werden zum Beispiel das erste Mal abschätzige Kommentare über die Gruppe gemacht. Auch wird die Gruppe mit anderen Gruppen verglichen. Inhaltlich werden Themen aus der Subphase 1 wieder aufgewärmt.

 

Subphase 4 und 5 können als zwei Seiten einer Münze betrachtet werden. In Beiden Fällen geht es darum, den Verlust von Selbstwertgefühl zu vermeiden. Denn in beiden Phasen wird eine tiefergehende Integration in die Gruppe vermieden, weil die Mitglieder glauben, nur so ihren Wert als Individuen behalten zu können.

 

Subphase 6: Konsensuale Bestätigung

Diese Phase wird auch mit Konsensbildung übersetzt.

In den von Bennis / Shepard betrachteten Gruppen gibt es zwei Faktoren, welche die Entwicklung der Gruppe in der Phase der Interdependenz voranbringen. Einerseits das nahende Ende des Seminares, andererseits müssen die TeilnehmerInnen eine Methode zur Evaluation inklusive Benotung ihrer selbst finden.

 

Die beiden Gruppen aus Subphase 5 schrecken aus zwei unterschiedlichen Gründen vor einer Evaluation zurück. Jene mit dem Wunsch nach möglichst wenig Nähe verweisen auf das Eindringen in die Privatsphäre. Jene mit dem Wunsch nach möglichst viel Nähe schrecken vor den Unterschieden, die zwischen den TeilnehmerInnen aufgezeigt werden würden, zurück.

 

Ähnlich wie in Subphase 2 ist es eine, in der vorangegangenen Subphase kaum relevante, Gruppe die das Blatt wenden kann: Die Unabhängigen, welche kaum oder gar keine Angst vor einem Verlust des Selbstwertgefühles haben. Der Bann wird oft durch einen von ihnen durchbrochen, indem er oder sie um eine Bewertung von sich selbst bittet. Dabei bewahrheiten sich keine der Hypothesen der beiden Hauptgruppen und die Angst vor einer Bewertung geht verloren.

 

Am Ende von Phase 6 beobachteten Bennis und Shepard folgende fünf Charakteristika bei den Gruppen, die es soweit geschafft hatten:

  1. Die Mitglieder können Unterschiede akzeptieren ohne sie als „gut“ oder „schlecht“ darzustellen.
  2. Konflikte existieren. Jedoch handelt es sich dabei um substanzielle Themen und nicht um emotionsgetriebene Themen.
  3. Konsens entsteht basierend auf einer rationalen Diskussion und nicht durch einen zwanghaften Versuch der Einstimmigkeit.
  4. Den Mitgliedern ist ihre Beteiligung an der Gruppe sowie weitere Aspekte des Gruppenprozesses bewusst, ohne dass sie sich überfordert oder verängstigt fühlen.
  5. Durch den Prozess der Evaluierung (Feedback) schätzen sich die TeilnehmerInnen gegenseitig viel mehr.

 

Zusammenfassend halten Bennis und Shepard fest, dass der Einfluss des Trainers / der Trainerin auf das Ergebnis in Phase 1 sehr groß ist. In Phase 2 hängt es vom schwächsten Glied der Gruppe ab, wie weit es die Gruppe schafft, ihre Angst vor dem Verlust des Selbstwertes zu überwinden.

 

Sehr wichtig sind in dieser Theorie auch die Unabhängigen, welche frei von Angst vor Autorität und / oder Zuneigung den Erfolg der Gruppe überhaupt erst ermöglichen.

 

Abschließend sei auch noch auf die Wichtigkeit der maßgeblichen Ereignisse (Entmachtung des Trainers / der Trainerin, Ende des Seminares) verwiesen ohne die ein Weiterkommen in die nächste Phase nicht möglich wäre.

 

Praktische Einführung

Dieses Modell kann am einfachsten an Hand einer Reflexion über das Geschehen in einer T-Gruppe im Rahmen eines Gruppendynamikseminares erklärt werden. Wobei die TeilnehmerInnen auch an unterschiedlichen Seminaren teilgenommen haben können. Nur so werden sie die sonst sehr abstrakt wirkenden Thesen und Schlussfolgerungen nachvollziehen können.

 

In einer solchen Reflexion geht man am besten Subphase für Subphase durch und reflektiert, ob und wie diese in den jeweiligen T-Gruppen vorkamen.

 

Kommentar

Das Phasenmodell von Bennis / Shepard wurde mit Blick auf Gruppen in Gruppendynamikseminaren (T-Gruppe) entwickelt. Verwendet man diese Theorie als Brille für andere Gruppensettings, sollte man diesen Hintergrund immer vor Augen haben.

 

Richtiger Zeitpunkt/Voraussetzungen

Ohne dass die TeilnehmerInnen zuvor eine T-Gruppe erlebt haben, wirkt das Modell oft sehr abstrakt.

 

Querverweise

 

Weiterführende Literatur

Warren G. Bennis und Herbert A. Shepard (1956): „A theory of group development“ in Human Relations 1956, vol. 9, no. 4, S. 415 – 437 http://hum.sagepub.com/content/9/4/415.refs

 

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